Das «Dirty Little Secret» der Eurokrise
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Das «Dirty Little Secret» der Eurokrise
Da ein sehr interessanter Bericht über die Eurokrise.
Das «Dirty Little Secret» der Eurokrise
Mark Dittli am Freitag 6. Juli 2012
Die Spanier sind alle faul.
Die Portugiesen und Italiener sowieso. Und die Iren trinken hauptsächlich. Ihrem eigenen Schlendrian haben sie es zu verdanken, dass ihre Staatsschulden heute untragbar hoch sind, sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben und sie in der Krise stecken.
Die Deutschen dagegen sind die Exportweltmeister. Global wettbewerbsfähig wie keine andere Nation. Diesen Status haben sie sich selbst erschaffen, mit harten Strukturreformen im eigenen Arbeitsmarkt.
Wenn die Welt doch bloss so einfach wäre.
Leider ist alles etwas komplizierter. Die heutige Stärke Deutschlands und die Schwäche Spaniens, Irlands, Portugals und Italiens ist eine direkte Folge der Einführung der Gemeinschaftswährung im Jahr 1999 respektive der Politik der Europäischen Zentralbank nach der Jahrtausendwende (Griechenland wird in der Aufzählung bewusst nicht aufgeführt, denn dort ist die Lage tatsächlich verbockt).
Blenden wir also zurück, ins Jahr 2000. Deutschland war damals der kranke Mann Europas, der es kaum mehr zu schaffen schien, Wachstumsraten von mehr als 2 Prozent zu erreichen. Das Platzen der Technologieblase im Frühjahr 2000 traf Deutschland hart: Der zuvor hochgejubelte Neue Markt in Frankfurt brach um 96 Prozent ein.
Als Folge dieses Schocks fiel die deutsche Wirtschaft 2002 und 2003 in eine Kontraktion. Es handelte sich dabei aber nicht um eine normale, harmlose Abkühlung, sondern um eine Bilanzrezession. In diesem Artikel, der am Mittwoch in der «Finanz und Wirtschaft» erschienen ist, wird die Funktionsweise einer Bilanzrezession genauer erklärt, daher hier nur kurz zusammengefasst: Ein Land kann in eine Bilanzrezession fallen, wenn es zuvor einen exzessiven privaten Schuldenaufbau durchlebt hat. Kippt dann die Stimmung und kühlt sich die Wirtschaft des Landes ab, setzt das «Sparparadox» ein: Die privaten Haushalte und/oder Unternehmen sind plötzlich mit zu hohen Schulden belastet und versuchen, sie abzubauen. Jeder agiert für sich rational; er erhöht seine Sparquote und zahlt Schulden zurück. Wenn das aber alle gleichzeitig tun, sackt die aggregierte Nachfrage in der Volkswirtschaft zusammen.
Diese Grafik, aufbereitet von Richard Koo, dem Leiter des Nomura Research Institute in Tokio und Autor des sehr lesenswerten Buches über Bilanzrezessionen, «The Holy Grail of Macroeconomics», illustriert schön, was damals in Deutschland geschah:
Die Kurven zeigen die Finanzierungssaldi der vier Nachfragesektoren in einer Volkswirtschaft (Haushalte, Unternehmen, Staat, Ausland). Speziell zu beachten sind die rote und die blaue Kurve. Sie zeigen, wie die privaten Haushalte (rot) und die Unternehmen (blau) nach dem Schock von 2000 ihre Sparquote deutlich erhöhten – im Fall der Unternehmen von minus 5 Prozent auf plus 4 Prozent des BIP. Diese Bewegung entzog der deutschen Volkswirtschaft nach Berechnungen Koos zwischen 2000 und 2005 eine aggregierte Nachfrage von 12,6 Prozent des BIP.
Deutschlands Inflationsrate fiel damals auf deutlich unter 1 Prozent, das Land drohte in die Deflation abzugleiten.
Was tat die EZB dagegen? Sie riss die geldpolitischen Schleusen auf. Zwischen 2001 und 2003 senkte die Zentralbank den Leitzins von 4.75 Prozent auf ein Nachkriegstief von 2 Prozent und beliess den Satz dort.
Diese Massnahme rettete Deutschland. Und sie stürzte die Peripherieländer der Währungsunion ins Verderben.
Deren Volkswirtschaften nämlich steckten nicht in einer Bilanzrezession, und die Niedrigzinspolitik der EZB liess sie überhitzen. Wie Richard Koo in einer aktuellen Studie nachweist, stiegen die Immobilienpreise in Spanien zwischen 2000 und 2005 um 107 Prozent, in Irland schossen sie 76 Prozent in die Höhe. In Deutschland fielen sie dagegen um 8 Prozent.
Die Inflationsraten in der Eurozone divergierten nach 2000 markant, wie diese Grafik von Koo zeigt (Konsumpreisinflation, ohne Immobilien, indexiert 2000=100):
Und als direkte Konsequenz der divergierenden Inflationsraten begannen auch die Arbeitskosten auseinanderzuklaffen (indexiert, 2000=100, Quelle: Nomura Research Institute. Zu beachten: Im Fall von Spanien ist die Legende falsch; der Indexstand müsste 154.4 sein, nicht 1154,4):
Es war in diesen verhängnisvollen Jahren zwischen 2000 und 2005, als die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Peripheriestaaten, ganz besonders Spaniens und Irlands, ruiniert wurde.
Sie wurde geopfert, um Deutschland zu retten.
Bezeichnenderweise argumentierten deutsche Ökonomen wie Hans-Werner Sinn (hier in einem Papier aus dem Jahr 2000) und Axel Weber (hier ein Papier aus dem Jahr 2005, mit Dank an Kollege Daniel Binswanger für den Hinweis) damals, einige Länder in Europa müssten höhere Inflationsraten erdulden, damit die EZB sicherstellen könne, dass kein Land – also Deutschland – in eine Deflation abgleite. Weber kam in seinem Papier zudem zum Schluss, dass Inflationsdivergenz innerhalb der Eurozone kein Problem darstelle.
Deutsche Politiker argumentieren heute oft und gerne, ihre Wirtschaft sei so wettbewerbsfähig, weil zwischen 2003 und 2005 (u. a. Hartz I bis IV) harte Reformen am Arbeits- und Dienstleistungsmarkt durchgesetzt wurden.
Diese waren gewiss nötig, und Deutschland hat allen Grund, Stolz darauf zu sein. Bloss, ist das wirklich die einzige Erklärung?
Diese Grafik spricht dagegen (Quelle: Nomura Research Institute):
Sie zeigt den Saldo in der deutschen Handelsbilanz mit den Ländern der Eurozone (blau), den USA (rot) und Asien (grün). Nach der Einführung des Euro (1999) und der extrem lockeren Geldpolitik der EZB (2001-2004) schwollen vor allem Deutschlands Handelsüberschüsse mit den anderen Euroländern an. Das Verhältnis zu den USA und Asien blieb weitgehend unverändert.
Wäre Deutschland nach den eigenen Marktreformen tatsächlich weltweit wettbewerbsfähiger geworden, hätten auch die Überschüsse im Handel mit den USA und Asien steigen müssen. Das taten sie aber nicht (erst ab 2010/2011 scheint das der Fall zu sein).
Nein, die Sache ist profaner: Deutschland fand zu neuer Stärke, weil die Ausfuhren in die anderen Euro-Länder massiv erhöht werden konnten. Deutschland wurde in Europa wettbewerbsfähiger, weil die Peripheriestaaten als Folge der EZB-Politik wettbewerbs-unfähiger wurden.
Das ist das «Dirty Little Secret» der heutigen Eurokrise.
Quelle:
http://blog.derbund.ch/nevermindthemarkets/index.php/8670/das-%c2%abdirty-little-secret%c2%bb-der-eurokrise/
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Re: Das «Dirty Little Secret» der Eurokrise
Dieser Bericht sagt sehr viel aus über die Machenschaften der EZB und deren gefolge.
Es ist in der Tat so, dass man zum heutigen Zeitpunkt vergisst, dass da ja noch Deutschland war denen es mal mehr als nur mies ging. Da konnte man helfen ohne wenn und aber. Ohne einen ESM. Da wurde einfach der Leitzins gesenkt und schwuppi di wupp konnte man bereits mehr Geld auf den Markt werfen.
Dies ist ein Grund mehr, dass dies nicht gut kommen kann mit der ganzen Wirtschaft und dem ESM.
Es ist in der Tat so, dass man zum heutigen Zeitpunkt vergisst, dass da ja noch Deutschland war denen es mal mehr als nur mies ging. Da konnte man helfen ohne wenn und aber. Ohne einen ESM. Da wurde einfach der Leitzins gesenkt und schwuppi di wupp konnte man bereits mehr Geld auf den Markt werfen.
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